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Neue Studie: Feuchtwiesen bergen immenses ungenutztes Potenzial für den Klima- und Artenschutz

Nov 10, 2021

Fotocredit: Norbert Sauberer

MUTTER ERDE, VINCA-Institut und GLOBAL 2000: Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist ein Schlüssel zur Bewältigung der Klimakrise

Wien (OTS) – Die von der Initiative „Mutter Erde“ finanzierte und soeben fertig gestellte Studie „Wiederherstellung veränderter Ökosysteme zum Klima- und Artenschutz in Österreich“ zeigt, dass neben Mooren und Wäldern insbesondere Feuchtwiesen und -weiden eine sehr wichtige Rolle bei der Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise einnehmen, die bisher völlig unterschätzt wurde.

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, den Artenverlust und die Erderhitzung zu stoppen. Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt müssen auch gemeinsam bedacht werden und es Maßnahmen zu setzen, die beide Ziele gleichermaßen umfassen. Die Studie stellt sich daher die Frage: „Wie lässt sich bei einer Revitalisierung von Lebensräumen der größte gleichzeitige Effekt für Biodiversitäts- UND Klimaschutz erzielen?“

 

Welche Lebensräume binden das meiste CO2?

Ein Abgleich mit der Relevanz von Lebensräumen die für den Klimaschutz (Stichwort: Kohlenstoffspeichervermögen) am besten geeignet sind, ergibt eine Priorisierung von Mooren, extensiven Wiesen und Weiden und naturnahen Wäldern. Hoch- und Übergangsmoore sind am meisten in der Lage große CO2-Mengen zu binden, da sie meterdicke Torfkörper aufbauen können. Danach folgen Niedermoore und Feuchtwiesen. Wälder haben zwar eine höhere oberirdische temporäre Speicherfähigkeit von Kohlenstoff in Form von Holz, unterirdisch trifft dies aber nicht zu. Hier zeigen Studien, dass naturnahe Wiesen und Weiden sogar mehr Kohlenstoff im Boden binden können.

 

1 Million Tonnen CO2 Einsparungspotenzial alleine im Untersuchungsgebiet in NÖ

In dem vom Ackerbau dominierten östlichen Niederösterreich wurde die historische Landnutzung in elf zufällig ausgewählten Probekreisen analysiert. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sank der Anteil von Wiesen und Weiden im Untersuchungsgebiet von 13,5 % auf 1,3 % der Landbedeckung. Ein wesentlicher Faktor für den Umbruch der Wiesen und Weiden war die Trockenlegung der Böden. Dadurch wurde der in den verschiedenen Böden gebundene Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt. Würde man nun etwa die Landnutzung der Äcker, die im Bereich eines 30-jährigen Hochwassers liegen, umstellen (etwa 6550 ha bzw 1,6 % der Ackerbaufläche des Untersuchungsgebietes), dann würde man hiermit pro Jahr eine Reduktion der CO2-Emissionen von mehr als 200.000 Tonnen erzielen. Stellt man auf 44 % (ca. 32.750 Hektar) der zwischen 1857 bis 1979 für ackerbauliche Zwecke entwässerten Flächen in Niederösterreich wieder die ursprüngliche Wasserversorgung her und ändert die Landnutzungsform auf eine die den Humus aufbaut, dann würden die entsprechenden Böden von einer Kohlenstoffquelle zu einer Kohlenstoffsenke verändert und jährlich rund 1 Million Tonnen CO2 eingespart werden.

Die Wiederherstellung von Kohlenstoff speichernden Ökosystemen ist ein Schlüssel zur Bewältigung der Klimakrise. Auf nur 1% der landwirtschaftlichen Fläche Österreichs ist eine Kompensation von 10% der gesamten Treibhausgasemissionen der österreichischen Landwirtschaft möglich. Dieses immense Potential nicht im Sinne des Arten- und Klimaschutzes zu nutzen wäre fahrlässig. Viele der Flächen können oder sollen sogar weiterhin genutzt werden. Eine extensive Bewirtschaftung trägt im Fall der Wiesen und Weiden zum Erhalt der Artenvielfalt bei.“ analysiert Dominik Linhard, Biologe bei GLOBAL 2000 die Studienergebnisse. GLOBAL 2000 plädiert deshalb dafür, die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich klima- und biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft für die österreichischen Bauern lohnt. Leistungen für das Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft müssen stärker unterstützt werden.

In weiterer Folge wurde analysiert, ob die vor rund 10 Jahren erstellte Naturschutzstrategie für Niederösterreich eine Weichenstellung in die gewünschte Richtung war. Es zeigt sich, dass insbesondere im Auenbereich zahlreiche positive Revitalisierungsmaßnahmen stattfanden, jedoch in den Bereichen Moore und extensive Wiesen und Weiden noch deutlicher Nachholbedarf besteht.

Die Ergebnisse zeigen, dass Biodiversitäts- und Klimaschutz kein Widerspruch sind!“ so Norbert Sauberer von VINCA – Institut für Naturschutzforschung und Ökologie, die diese Studie durchgeführt hat, „Es zeigt sich, dass die Revitalisierung von derzeit intensiv genutzten Böden ein enorm großes, gleichzeitiges Potenzial für Biodiversitäts- UND Klimaschutz hat. Dabei sind weitere positive Nebenwirkungen wie passiver Hochwasserschutz oder Verhinderung der Austrocknung der Landschaft noch gar nicht berücksichtigt. Eine der untersuchten Feuchtwiesen befindet sich im Besitz des ORF. Es ist eines der artenreichsten Niedermoor- und Feuchtwiesengebiete Niederösterreichs. Im so genannten Herrngras auf dem Gelände des Senders Moosbrunn leben zahlreiche selten gewordene Tier- und Pflanzenarten wie das Moor-Wiesenvögelchen, die Sumpf-Gladiole oder der Große Brachvogel.“

Die Studie wurde von der Umweltinitiative MUTTER ERDE entsprechend dem Jahresthema „Klima schützen, Arten schützen“ in Auftrag gegeben. Anita Malli, Geschäftsführerin der Umweltinitiative MUTTER ERDE: „Viel zu lange wurden Moore und Feuchtwiesen trockengelegt. Längst ist erkannt, dass sie wichtige Kohlenstoffspeicher und Rückzugsgebiete für seltene Tier- und Pflanzenarten sind und so dazu beitragen, die zwei größten Umweltkrisen unserer Zeit zu lösen. Mit dieser Studie wollen wir auch das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser bisher wenig bekannten Klimaschützer schaffen.“